Dan Simmons

TERROR

„The Terror“, 2007, deutsche Erstausgabe, aus dem Amerikanischen von Friedrich Mader, Heyne Verlag, 2007, 996 Seiten, 22,95 EUR.
Umschlagillustration: Erich Lessing/Art Ressource, NY. Karte: Andreas Hancock.

Hat der US-amerikanische Autor Dan Simmons vielleicht selbst bemerkt, dass er sich sowohl mit seinem letzten SF- als auch seinem letzten Horrorroman (OLYMPOS [u. a. Heyne TB 52123] und IM AUGE DES WINTERS [Heyne TB 52142] im Grunde nur selbst kopierte?! Nun, einem ansonsten kreativen und innovativen Autor sollte das nicht entgangen sein ... Mit TERROR wandte sich Simmons einem Konzept zu, das er bereits in seinem Roman FIESTA IN HAVANNA (Goldmann Paperback 54126) erfolgreich umsetzte: einer historischen, hochinteressanten und spannenden Nacherzählung.
Beschäftigte sich Simmons in FIESTA IN HAVANNA mit den Aktivitäten Hemingways auf Kuba während des Zeiten Weltkrieges, so geht er in TERROR noch weiter in der Vergangenheit zurück und wählt einen gänzlich gearteten Schauplatz: das Schicksal der Expedition von Sir John Franklin, Captain der Royal Navy, die in den Jahren 1845 bis 1848 nach der Nordwestpassage, dem Schiffsweg durch das Nordpolarmeer in den Pazifik, suchte – und verschwand. Erst 1850 fanden Suchschiffe die ersten Spuren der Franklin-Expedition.
Simmons zeichnet in TERROR den Weg der Expeditionsschiffe EREBUS und TERROR akkurat nach: die erste Überwinterung vor der Beechey-Insel 1845/1845, die zweite und dritte Überwinterung im Packeis vor der King-William-Insel, in das die Schiffe eine Fehlentscheidung des Expeditionsleiters führte, den Tod Sir Franklins, die Aufgabe der Schiffe, der Marsch der Besatzungen in den Süden in der Hoffnung, den Außenposten der Hudson Bay Company an Backs Großem Fischfluss zu erreichen und den Kannibalismus der Überlebenden. Erzählt werden die Geschehnisse aus den Perspektiven verschiedener Expeditionsteilnehmer. Durch den Detailreichtum erreicht der Autor ein sehr hohes und ausgesprochen beeindruckendes Maß von Authentizität. Das gilt für die Enge, die Dunkelheit und den Gestank in den Schiffen, für den dunklen arktischen Winter mit Temperaturen von minus sechzig Grad Celsius, für das Packeis mit seinen Pressrücken und Zinnen usw. usf.
Doch im Gegensatz zu FIESTA IN HAVANNA bricht in TERROR bereits in einer frühen Phase der Handlung das Phantastische ein: Die Besatzungsmitglieder der TERROR und der EREBUS werden nicht nur durch Lungenentzündungen, Skorbut und Unfällen dezimiert, sondern auch von einem Wesen, das wie ein dreifach vergrößerter Polarbär erscheint und sich gegen die Abwehrversuche der Expeditionsteilnehmer als immun erweist. Es erscheint zum ersten Mal, nachdem Männer der EREBUS einen Eskimo-Schamane erschossen haben – der vor seinem Tod die weißen Männer verfluchte, wie sie vermuten lässt.
Diese Wendung in der Handlung mutet zunächst willkürlich und simpel an, als wäre dem Autor das Desaster der Franklin-Expedition als Stoff für seinen Roman zu unspektakulär erschienen. Selbstverständlich ist klar, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt – sobald gesicherte historische Quellen fehlen – die Schilderung des Schicksals der Franklin-Expedition fiktiv werden würde. Das musste jedoch nicht zwangsläufig zu einem Griff in die einfachsten Sujets des Horror-Genres führen. Doch Simmons gelingt es, dieses Riff – besser: diesen Eisberg, um in der Terminologie der Franklin-Expedition zu bleiben – zu umschiffen, in dem er einen eleganten und souveränen Bogen zur Mythologie der Inuit schlägt.
In FIESTA IN HAVANNA bot sich die Integration eines solchen Handlungselements nicht an, doch in TERROR ist es ein perfekter Abschluss des Romans (nachdem das Schicksal der Expeditionsteilnehmer zu Ende erzählt wurde). Simmons zeigt mit TERROR, das er noch nicht die Grenzen seiner Kreativität erreicht hat. Mit TERROR hat er vielmehr seinem Werk einen weiteren innovativen Baustein hinzugefügt, das nicht nur Kenner von Simmons Romanen und Kurzgeschichten zu schätzen wissen werden.

 

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