Das Problem kennt vermutlich fast jeder (Amateur-) Autor: Welche Namen gebe ich, bitteschön, meinen Protagonisten?! Zunächst ist die Antwort auf die Frage davon abhängig, an welchem Ort und in welcher Zeit die Kurzgeschichte angesiedelt ist. Bleibt man als Autor im schnöden Deutschland, genügt ein Blick in das Telefonbuch – oder ein Gang über den Friedhof. (Das ist kein Scherz. In einer meiner [älteren] Stories habe ich in der Tat den Namen eines Verstorbenen benutzt, der in dieser Eigenschaft durchaus eine Rolle spielt. Es handelt sich aber nicht um eine Horror-Story.)
Im Oktober 2007 wurde ich in einer E-Mail nach den Hintergründen der Namenswahl der Protagonisten in meiner Story „Zwillinge“ gefragt. Loren Estleman, Stuart Kaminsky, Dick Stoghill wären immerhin die Namen einiger bekannter US-amerikanischer Krimiautoren.
Nun ja ...
„Zwillinge“ gehört zu meinen älteren Kurzgeschichten. Sie erschien erstmals 1994 in dem ANDROMEDA SCIENCE FICTION MAGAZIN 131 des SFCD. Zehn Jahre später holte ich den Text aus der Versenkung und veröffentlichte ihn in den CLUBNACHRICHTEN 318 des PRBCBS – eine dünnere Ausgabe, die ich mit der Story immerhin noch auf 40 Seiten brachte. (Ich war zu jener Zeit CN-Redakteur.) Im November 2005 stellte ich meine Homepage zusammen und im Internet bereit, inklusive der Story „Zwillinge“. Die Story ist kurz, der Speicherplatz war seinerzeit begrenzt, so dass es sich für mich anbot, auch „Zwillinge“ auszuwählen.
Wo sie Dick Stoghill etwa ein Jahr später fand und sich in seinem Blog verwundert äußerte.
Ich muss ein Geständnis ablegen: Ich habe die Namen dem Inhaltsverzeichnis der Anthologie PRIVATDETEKTIVE von Robert J. Randisi, erschienen 1989 als Bastei/Lübbe Paperback 28176, entnommen. (Der Band enthält die Originalanthologien THE EYES HAVE IT und MEAN STREETS“ der US-amerikanischen Autorenvereinigung THE PRIVATE EYE WRITERS OF AMERICA.) Ich lese nicht nur SF und Romane aus anderen phantastischen Genres, sondern auch Kriminalromane, was sich gelegentlich auch in meiner Themenwahl für diverse WHISPERING TIMES-Ausgaben niederschlug.
Nach vierzehn Jahren fällt es es mir schwer zu sagen, was mich zu jener Namenswahl bewog, ob es Ausdruck von Phlegmatismus oder ein Humorversuch war ...?! Ich neige dazu, eine bewusste Hommage auszuschließen, ich bin mir aber sicher, dass ich die Namen jener US-amerikanischen Autoren nicht für meine Kurzgeschichte ausgewählt hätte, wenn mir die Anthologie PRIVATDETEKTIVE nicht zugesagt hätte. Außerdem habe ich seinerzeit nicht damit gerechnet, dass nur Jahre später ein umfassendes Kommunikations- und Informationsnetz wie das Internet entstehen sollte.
Das bestätigt eine Binsenweisheit des IT-Zeitalters: Man soll mit dem vorsichtig sein, was man in das Internet stellt. Es könnte sein, dass es gelesen wird ...
Über einen anderen Aspekt der Rezeption (das ist hochtrabend formuliert, ich weiß!) meiner Kurzgeschichten bin ich jedoch in einem größeren Ausmaß erstaunt: Nicht einem meiner Leser und Kritiker ist bislang offenbar aufgefallen, dass in etwa jeder zweiten meiner Stories ein Protagonist namens Bernhard Kellermann (ein- oder zweimal auch als Bernd Kellermann) auftritt. Und niemand hat bislang darüber spekuliert, welches „Vorbild“ Bernhard Kellermann denn haben könnte.
Okay, okay, meine Produktivität war, was Kurzgeschichten angeht, seit meinem Einstieg in das Fandom gering. In manchen Jahren habe ich nur sekundärliterische Beiträge verfasst. Es ist eine Ausnahme, wenn ich – wie in 2007 – fünf Stories binnen eines Jahres schreibe (von denen nur eine noch nicht veröffentlicht ist).
Bei meinen Recherchen musste ich feststellen, dass Bernhard (als Bernd) Kellermann nicht – wie angenommen – zum ersten Mal in meiner Zeitreisestory „Chronodestruktion“ auftaucht (ursprünglich verfasst für ZEITTRAMP, erschienen in CLUBNACHRICHTEN 102, 1986, in einer überarbeiteten Fassung in KOPFGEBURTEN 2: TIMEWALK, 1993). Er ist ein Agent, der durch mehrere Epochen geschleudert wird, die in sich zusammenbrechen. 1983 betätigte er sich bereits in „Götterboten“ (HOBBIT 6/7, 1983) als windiger Vertreter von außerirdisches Artefakten. In der überarbeiteten Fassung von 1998 (CLUBNACHRICHTEN 240) wandelte sich sein Vornamen von Bernd zu Bernhard.
In „Adam und Eva“ (CLUBNACHRICHTEN 200, 1995) spielt eine Sigrid Kellermann eine tragende Rolle – neben Personen wie Stuart Kaminsky, Lajos Mesterhazi und Robert Randisi. Genau: Zwei von ihnen stehen auch im Inhaltsverzeichnis der PRIVATDETEKTIVE! Lajos Mesterhazi ist dagegen ein ungarischer Phantastikautor, den ich in der Anthologie FÜNF LÖFFEL ELIXIER (Hohenheim Verlag, 1987) fand.
In „Fehlfunktion“ (IRRLICHTER 2, 1997) ist Bernhard Kellermann ein Besatzungsmitglied eines Raumschiffes, der aus seinem kyrogenischen Schlaf erwacht. Um den Rest des Fluges nicht allein verbringen zu müssen, weckt er eine Frau und weitere Crewmitglieder auf. Als Mörder an seiner Ehefrau versucht er sich in „Freiheit, die ich meine“ (IRRLICHTER 4, 2003). In der Story ist er ein verhinderter Schriftsteller, der an das Geld seiner Partnerin gelangen will, um seine Bücher herauszugeben.
Eine weitere Variation des Vornamen Kellermanns bringt meine Story für den zweiten RETTUNGSKREUZER IKARUS-Storyband (ST. DOMINA, 2004) „Die Geister von Krocker IV“: Bernhard wird zu Bernard. Kellermann trägt einen Doktortitel und ist Leiter des Explorationsteams des NEUE WELTEN-Konzerns. Für die übrigen Protagonisten in dieser Story, sofern sie nicht durch das RETTUNGSKREUZER IKARUS-Universum vorgegeben waren, griff ich erneut auf Krimiautoren zurück, wandelte die Namen aber ab: Pierré Pronzini (s. o.), Linda Paretsky (Sara Paretsky, die die Romane über die Privatdetektivin Vic Warshawski schrieb [siehe WHISPERING TIMES 19]) und Sara Evans (hier taucht der Vorname der Autorin auf, der Nachname ist beliebig).
In „Loyalitäten“ (STORY CENTER 2006, 2005) ist Kellermann in die Auseinandersetzung zwischen einem Konzern und dem Erdkonsortium um den Besitz des ersten erdähnlichen Planeten verwickelt. Er arbeitet für ZEUS GENETICS, einem Biokonzern, der einen Klon anfertigte, der einen Repräsentanten der Gegenseite ersetzen soll. Kellermann weiß jedoch um die Mängel des Produkts seines Arbeitgebers und bringt sich rechtzeitig in Sicherheit.
Zweimal dieselbe Rolle spielt Kellermann in meinen Stories „Zwischenstopp auf Prox“ (GOLEM & GOETHE, 2005) und „Eine Affäre auf Prox“ (WELT DER GESCHICHTEN 2, 2006), was sich anbot, da die Handlungsschauplätze – die Titel deuten es an – identisch sind: die Raumstation im Proxima Centauri-System. Kellermann ist Leiter der Stationssicherheit. In „Zwischenstopp auf Prox“ deckt er einen Schmuggel auf, in „Eine Affäre auf Prox“ hilft er einer schlafenden Agentin. In beiden Stories steht er, genau wie in „Die Geister von Krocker IV“, nicht im Mittelpunkt der Handlung. Seinen ersten und letzten Auftritt hat er in „Eine Affäre auf Prox“ erst gegen Ende der Story.
In „Der Parasit“ (HORROR 80: ANGST IV, 2007) muss sich Kellermann eines Nachbarn erwehren, der ihn nicht nur mit Lärm belästigt, sondern auch an seinen Träumen schmarotzt. Diese Story ist die bislang einzige, in der Kellermann in der Gegenwart agiert.
Kellermann habe ich häufig als kleinen, untersetzten Mann beschrieben. Nur selten nimmt er wie in „Freiheit, die ich meine“ gewisse autobiografische Züge an. Sein Name ist identisch mit dem des  deutschen Autors Bernhard Kellermann (1879 – 1950), der zur Science Fiction den Roman DER TUNNEL (1913), die Schilderung des Baus eines Atlantiktunnels zwischen Europa und Amerika, beitrug. Auf Kellermann wurde ich wohl bereits Anfang der achtziger Jahre aufmerksam, seinen Roman DER TUNNEL habe ich dagegen erst 2005 gelesen.
Warum aber ausgerechnet Bernhard Kellermann?! Nun, ich muss einräumen, das ich nur spekulieren kann: Vielleicht, weil es ein Allerweltsname ist, der trotzdem einen gewissen, angenehmen und unverwechselbaren Sprachrhythmus aufweist? Seine Auftritte wie einen roten Faden durch einen Teil meiner Kurzgeschichten ziehen zu lassen hielt und halte ich für eine reizvolle Idee.
Eine weitere Figur, die mehrmals in meinen Stories auftritt, ist Chester Himes. Ihr namentliches Vorbild ist ebenfalls ein Schriftsteller, und zwar – was nicht überraschen dürfte – der gleichnamige US-amerikanische Krimiautor (1909 - 1984), von dem ich fünf, 1999 im Unionsverlag erschienene Romane besitze – und auch gelesen habe.
In „Freiheit, die ich meine“ ist Chester Himes der Direktor der ZEUS GENETICS, die einen Klon der Ehefrau Kellermanns herstellen soll. Dieselbe Funktion nimmt er in „Der Prä-Tote“ wahr (EXODUS 23, 2008). In der Story muss er dem Protagonisten erklären, dass er aus finanziellen Gründen nicht noch einmal von der ZEUS GENETICS geklont werden kann, falls er einem tödlichen Unfall oder einer Krankheit zum Opfer fallen sollte. Die ZEUS GENETICS sollten regelmäßigen Zuschauern einer populären TV-Mysteryserie bekannt erscheinen.
Chester Himes ist auch der Repräsentant von NEUE WELTEN, der in „Loyalitäten“ durch einen Klon ersetzt werden soll. Den Namen einer weiteren Figur habe ich unverändert aus RECLAMS KRIMI-LEXIKON: Mo Hayder. In der Realwelt eine Kriminalschriftstellerin, in der Story ein Techniker.
Teilweise hängen meine jüngeren Kurzgeschichten thematisch locker zusammen: die „Prox“-Stories, „Loyalitäten“, „Freiheit, die ich meine“, „Der Prä-Tote“ und „Geschäfte mit der Zeitbank“. Das Grundthema sind die technischen Möglichkeiten und die Macht großer Konzerne. Da die Stories in verschiedenen Epochen angesiedelt sind, müssen Kellermann und Himes nicht in denselben Funktionen auftreten.
Neben Telefonbüchern, Grabsteinen und Inhaltsverzeichnissen von Anthologien sind auch Protagonisten aus Romanen, Personen aus Zeitungsartikeln und der Historie eine Namensquelle. So trug der der (Haupt-) Protagonist aus „Zwischenstopp auf Prox“ zunächst den Namen des seinerzeitigen libyschen Ministerpräsidenten, bevor ich einen Teil des Namens mit dem eines (toten) Protagonisten der jüngeren Geschichte zurückgriff. Der Namen des Protagonisten aus „Eine Affäre aus Prox“ ist von Priscilla Hutchins, der Hauptfigur aus diversen Romanen des US-amerikanischen SF-Autors Jack McDevitt abgeleitet.
In meinen Stories, die ich in zwei SF-Universen angesiedelt habe (wenn ich die RETTUNGSKREUZER IKARUS-Kurzgeschichten außer acht lasse), war ich in der Wahl meiner Protagonisten eingeschränkt. Von einer Ausnahme abgesehen, meinem Protagonisten nämlich, habe  ich in „Kein Garantiefall“ (IRRLICHTER 3, 1999) nur Figuren aus dem ORBIT HOSPITAL-Zyklus des irischen Autoren James White verwandt. In den DARKOVER-Stories „Werwolf“ (QUASAR 6, 1988, in einer überarbeiteten Fassung in GÖTTERHELDEN, 2004), „Spiegelfechten“ (FANTASTIC STORIES 11, 1993) und „Feuerteufel“ (FANTASTIC STORIES 9, 1998) habe ich einen Protagonist, den ich für einen Umsympath halte, aufgegriffen, und mich im übrigen bei der Kreation meiner Protagonisten und ihrer Namensgebung an die Konventionen der Serie angelehnt. eine weitere DARKOVER-Story, „Die Schmiedin“, ist noch unveröffentlicht.
Völlig unabhängig von den Quellen muss ein Name die jeweilige Figur für den Leser unverwechselbar machen: mit „Hans Meier“ oder „Lieschen Müller“ funktioniert das natürlich nicht.
In meiner Story „Transatlantik-Express“ (EXODUS 21, 2007) griff ich wieder auf das Inhaltsverzeichnis von PRIVATDETEKTIVE zurück: Stephen Greenleaf ist (namentlich unverändert) einer der Direktoren der Transatlantischen Eisenbahngesellschaft, denen ein junger, aufstrebender Ingenieur ein revolutionäres Projekt vorstellt.
Welche Romanfigur mich zu der Wahl des Titels „Vallanders letzter Fall“, meine zweite RETTUNGS- KREUZER IKARUS-Story (NEGATIVES BEVÖLKERUNGS- WACHSTUM  (2007), inspirierte, ist offensicht- lich. Das war keine sonderlich subtile Vorgehensweise. Deshalb konnte ich mich eines gewissen Amüsements nicht er wehren, als Erik Schreiber in seinem 460. BÜCHERBRIEF schrieb: „Wenn ich den Titel lese, muss ich immer an den Schriftsteller Mankell denken und seinen Kom missar Wallander. Eine Krimigeschichte ist es allemal.“ Diesmal ist die Titelwahl eine bewusste Hommage oder zumindest der Versuch davon. Die Beurteilung, ob er gelungen ist, kann ich natürlich nur meinen Lesern überlassen.
Für zwei weitere Figuren in der Story bediente ich mich des Inhaltsverzeichnisses der Anthologie DIE ENTDECKUNG RIELS (Hohenheim Verlag, 1987). Alexander Grin wird zum Aufpasser der PHÖNIX- Besatzung und zum Agenten der Herrscher Taschkers, Alexander Kuprin zu Dr. Alexandra Kuprin, einer heimlichen Re-bellin. In der Realwelt sind beide wohl russische Phantastik autoren.
NEGATIVES BEVÖLKERUNGSWACHSTUM ist übrigens auch über AMAZON erhältlich. Es ist amüsant und auch schmeichelhaft auf diesen Band zu stoßen, wenn ich in der Suchfunktion meinen Namen eingebe ... Das gilt auch für die Hörbuchversion (Hörstory?!) meiner Kurzgeschichte „Geschäfte mit der Zeitbank“ bei Jokers-audio.de, die in AD ASTRA 108: ERINNERUNGEN AN DIE ZUKUNFT (2008) von Hary Production erschien. Ich bin zwar nicht gefragt worden, ob ich mit dieser Umsetzung einverstanden bin (auch die Ausschreibung der Anthologie enthielt keinen entsprechenden Vorbehalt), sehe aber keinen Anlass für einen Protest.
In meiner jüngsten, noch nicht abgedruckten (SF-) Story „Auslese“ habe ich auf die Namen zweier realer Astro- bzw. Kosmonauten zurückgegriffen. Kellermann hat in seiner weiblichen Inkarnation (als Sybille) seinen üblichen Auftritt.
Die Krimiautoren, die sich jenseits von „Zwillinge“ in meinen Stories als Protagonisten wiederfinden, hat Dick Stoghill offenbar noch nicht entdeckt., obwohl zwei dieser Kurzgeschichten im Internet zur Lektüre zur Verfügung stehen. Eine Reaktion Mankells auf „Vallanders letzter Fall“ ist mir bislang nicht bekannt geworden – nicht, dass ich sie erwarten würde! –, doch ist dieser Text bislang nur in gedruckter Form zugänglich.
Die eine oder die andere Protagonistin in meinen Stories hat, zugegeben, durchaus ein reales Vorbild. Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich über diesen Aspekt meiner Kurzgeschichten zurückhaltend schweige.